Arbeitsbeispiele

Porträt

„Man kann damit Menschen verändern“ 
Beitrag für das Börsenblatt, Buchmesse Oktober 2011

Der Münsteraner Verleger Josef Kleinheinrich publiziert seit 25 Jahren Bücher gegen den Mainstream und versammelt die größten Namen der nordeuropäischen Literatur. Er ist ein leiser Mann und doch wirkt ein Treffen mit ihm wie eine belebende Verunsicherung.

Sieht so ein Querkopf aus? Weißes Hemd, bis unters Kinn geschlossen, weite helle Leinenhose, weiße Leinenschuhe, knöchelhoch, sportlich edel, das ganze Auftreten höflich, zuvorkommend. Josef Kleinheinrich sitzt auf einem antiken Holzstuhl mit abgewetztem Polster, hinter ihm eine Fensterreihe, der erste Stock in einer belebten Einkaufsstraße. Unten die üblichen grellen Auslagen, volle Cafés, hektische Menschen, alles laut, bunt, trubelig. …

Als gäbe es das alles nicht oder als habe es einfach keine Bedeutung für ihn, spricht Kleinheinrich konzentriert und ruhig. Neben ihm steht ein Holztisch mit einem ungebügelten Leintuch darüber, darauf zwei Bücher, bewusst platziert. Horace Engdahl, „Meteore“, und Georg Gudni, „waagerechter strich“. Cremefarbener schlichter Umschlag, noch in Pergamentpapier eingeschlagen. „Man kann damit Menschen verändern“, sagt er leise. „Mit Büchern, mit Lesen, mit Kunst.“

Es klingt so gar nicht nach Umsturz, doch der Mann ist ein Unruhestifter, keine Frage. Ein Besuch im Verlag „BuchKunst Kleinheinrich“ in der Altstadt von Münster bedeutet eine Gehirnwäsche. Sanft, aber entschieden wird man aus der Welt der Waren in eine andere Realität geleitet. In einen Raum der klaren Formen, mit bewusst gesetzten Akzenten, Reduktion, die das Einzelne umso mehr hervorhebt. In dem es auch Bücherstapel gibt, das schon, aber dezent. Und einen Sekretär mit Laptop, Geschäftspapieren, Telefon, daneben wattierte Versandtaschen.

Viele Schreibtische braucht der Verlag nicht. Josef Kleinheinrich ist der Einzige, der hier arbeitet. Alles trägt eine Handschrift, man darf wohl sagen: seine Handschrift. Der Verlag – und der Verleger – ist in diesen Wochen besonders gefordert, drei Bücher müssen rechtzeitig fertig werden für den Schwerpunkt der Buchmesse, Band 10–12 der Reihe „Isländische Literatur der Moderne“. Dreimal Gedichte.

„Einige allgemeine Worte über die Erkaltung der Sonne“ heißt Gyrdir Elíassons Band. Der Autor erhält in diesem Jahr den Literaturpreis des Nordischen Rates, die höchste Auszeichnung, die das literarische Skandinavien vergibt, auch kleiner Nobelpreis genannt. Von Steinunn Sigurdardòttir, einer der erfolgreichsten isländischen Romanautorinnen in Deutschland, erscheint der Band „Sternenstaub auf den Fingerkuppen“. Wohin man blickt, über welchen Autor man spricht, welches Buch man aufklappt: Kleinheinrich versammelt die großen, vielleicht die größten Namen der nordeuropäischen Literatur.

Ein Blick auf das Wesentliche
Ohne viel Aufhebens, ohne Werbung, ohne zu trommeln. Vor 25 Jahren begann Josef Kleinheinrich, Bücher zu verlegen. „Die Zeit gleicht dem Wasser, / und das Wasser ist kalt und tief, / wie das Bewusstsein meiner selbst.“ Die erste Strophe von Band 1 der Island-Reihe, Autor Steinn Steinarr, bei uns unbekannt, in Skandinavien ein Klassiker. „Die Idee war, eine kleine Bibliothek aufzubauen mit der Literatur der Moderne. Schwerpunkt Lyrik, aber nicht nur.“ Reihen zu Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und den Niederlanden werden seither gepflegt.

Ende der 80er Jahre führten die nordeuropäischen Literaturen ein Mauerblümchendasein bei uns, mit den überraschenden Erfolgen von Jostein Gaarder und Peter Hoeg änderte sich das schlagartig. Kleinheinrichs Konzept änderte sich nicht. Sein Programm sperrt sich gegen die halbjährlichen Modeschauen der Verlagswelt: „Für mich verlieren ältere Titel nicht an Qualität. Der Wert eines Buches unterliegt heute den Gesetzen der Aktualität. Mein Gegenprogramm lautet: Die Qualität eines Autors liegt in der Wertigkeit seiner Arbeit.“

Diesem Konzept entspricht das Erscheinungsbild seiner Bücher. Weiße Umschläge, reine Typografie, visuell eine reduzierte Ausstattung, aber mit ausgesuchten, hochwertigen Materialien. Der Text soll wirken, oder die Zeichnung, die künstlerische Arbeit. „Wenn ich ein Bild immer wieder ansehe, verändert es sich, es spricht mit mir.“

Das funktioniert. Sehen die Titel zunächst alle mehr oder weniger gleich aus, differenziert das Auge bald: ein hartes Weiß hier, weil die Farben im Inneren nur dann gut stehen, ein weicher Cremeton da, ein besonders festes Papier für die fragilen Gedichte und die zarten Zeichnungen, dazu ein transparenter Extraumschlag, auf dem zwei kleine Motive versteckt sind. Die Bücher justieren die Optik neu, sie lenken den Blick auf das Wesentliche.

Kreative Mischfinanzierung
Der große wirtschaftliche Erfolg lässt sich damit nicht erzielen, trotz klingender Namen wie Inger Christensen oder – mit einzelnen Werken – Cees Nooteboom, Genazino, Enzensberger, Thomas Kling, Botho Strauß, um die berühmtesten zu nennen. Dabei sind die Titel mit 18-35 Euro überraschend preiswert. „Es ist ein Überlebenskampf, immer wieder. So hart hatte ich mir das nicht vorgestellt.“

Umso wichtiger ist für den Verlag sein zweites Standbein, die Kunst, die andere Leidenschaft des Verlegers. Text und Bild kommen hier auf hohem Niveau zusammen. Immer entstehen die künstlerischen Arbeiten nach intensiver Lektüre der Texte, und Kleinheinrich sucht dafür dann die eine richtige Form. Wie bei einer außergewöhnlichen Produktion, als Kleinheinrich Kalendergeschichten von Botho Strauß mit eigens geschaffenen Zeichnungen von Neo Rauch publizierte. Drei Individualisten, die sich schätzen. Mit dem nahezu vergessenen Verfahren des Lichtdrucks fertigte der Verlag in Handarbeit ein Künstlerbuch von 180 Exemplaren; der Vorzugsausgabe wurden Rauchs Kreidelithographien beigelegt.

Durch den Verkauf der Original-Kunstwerke im Rahmen solcher Vorzugsausgaben wird ein Grundstock für die hohen Produktionskosten erwirtschaftet. Kreative Mischfinanzierung. Die Künstler schätzen die Qualität der Bücher, Georg Baselitz, Markus Lüpertz sind wieder nur die bekanntesten Namen.

Horace Engdahls Buch beginnt mit dem Eintrag: „Das Gefühl dafür, wie man ein Gummimotorflugzeug werfen muß, bleibt einem noch nach vielen Jahren in der Hand. Nicht zu heftig, so daß es steil aufsteigt und dann an Fahrt verliert, nicht zu locker, so daß die Schnauze nach unten weist (...). Ich glaube, Mallarmés Wort vom ‚Denken mit dem ganzen Körper’ wird besser verständlich, wenn man sich statt dunkler Triebe ein Gummimotorflugzeug vorstellt...“

Kleinheinrich setzt klare Gedanken in klaren Bildern in die Welt. Eine Haltung, die zu dieser Literatur überhaupt nicht passt, ist Ehrfurcht. Als der Besucher das dünne Einwickelpapier umständlich an den Klebestreifen löst, nimmt der Verleger ihm das Buch aus der Hand und reißt das Papier energisch ab. „Das beobachte ich immer wieder. Dabei ist das Einwickelpapier ja nur Schutz. Weg damit.“ Lacht und reicht das ausgepackte Buch zurück.